Lange Zeit schien es, als stünde ein Krieg bevorEuropaundenkbar. Aber mitWladimir PutinmaliInvasion der UkraineDas Undenkbare ist zur blutigen Realität geworden – und das schon seit mehr als einem Jahr. Politik und Wirtschaft stehen vor den Herausforderungen der Zeit.
Nach einigen schnelleren Titeln und Aktualisierungen früherer Werke ist „Zeitenwende“ nun auf dem Buchmarkt. Fast alle Verlage veröffentlichen Kriegs- und Friedenstitel – wenn auch mit sehr großen Unterschieden im Umfang. Das Handelsblatt erklärt, warum die Titel der beiden vorgestellten Autoren enttäuschend sind und liefert zwei Analysevorschläge.
Der langjährige Autor Alexander Kluge beispielsweise präsentiert „The 2023 War Primer“, der den Leser völlig im Unklaren lässt, was er dachte – abgesehen von seinen Kindheitserinnerungen an den Zweiten Weltkrieg. In Kluges teilweise introspektiven Betrachtungen über den ewigen Krieg der „Dämonen“ verschwimmen nicht nur die Grenzen zwischen Angreifern und Verteidigern.
Es ist auch alles in einen gemurmelten, mythischen Hintergrund gehüllt, der schwer zu interpretieren ist: „Vielleicht ist es zu früh für Bäume, sich vor der menschlichen Natur zu ergeben.“
Für Kluge ähnelt der Kriegsverlauf den tektonischen Bewegungen der Erde. Die Ergebnisse der Einstufung der aktuellen russischen Aggression sind Null – der Krieg in der Ukraine ist kaum zu übersehen.
Auf gefährlichem Boden
In Kap. Dem Links Verlag gelang das Kunststück mit dem vielversprechenden Titel „Why We Fight Wars“. And How We Can Eight Them“ veröffentlicht ein Buch, in dem Putins Wahlkampf detailliert beschrieben wirdUkrainees wird überhaupt nicht erwähnt.
Stattdessen betritt der kanadische Autor und Spieltheoretiker Christopher Blattman gefährliches Terrain. Er weist beispielsweise darauf hin, dass die Hauptinitiatoren des Ersten Weltkriegs, Deutschland und Österreich, erst 1914 angesichts der russischen Bedrohung einen „Präventivkrieg“ begonnen hätten.
Christopher Blattman: Warum wir in den Krieg ziehen
Ch.Links Verlag
Berlin 2023
536 Seiten
26 Euro
Übersetzung: Birthe Mühlhoff
Gleichzeitig bleibt er hinter der 2012 von Christopher Clark wiederholten These zurück, dass die gegnerischen Mächte damals als „Schlafwandler“ gekämpft hätten. Blatmans Buch scheint, zumindest basierend auf dem seit Jahren als friedensstiftende Institution lahmgelegten Sicherheitsrat, veraltet zu sein.
Das Gegenteil gilt für die Diskussion Welt im Umbruch von Rüdiger von Fritsch. Was kommt nach dem Krieg?“ Sogar ManuelLängezeichenauf dem Rückflug von Peking, wo er istApril forderte Europa auf, sich im Interesse seiner Souveränität von Amerika zu distanzierenund sie sollten nicht in einen möglichen bewaffneten Konflikt zwischen ihnen eintretenTRAURIGund China den Abzug gegen Taiwan betätigen zu lassen, aber trotzdem zwischen den Buchdeckeln Erfolg zu haben.
Allerdings erscheint die Einschätzung des französischen Präsidenten illusorisch, denn mit einer solchen militärischen Konstellation stünden wir wahrscheinlich am Rande des Dritten Weltkriegs.
Während Macron auf Chinas Vermittlerrolle im Krieg zwischen China und China verwiesRusslandund der Ukraine erwartet Fritz, dass Peking „weiterhin alles versucht, um sich aus dem Konflikt herauszuhalten, möglicherweise in der Hoffnung auf einen Waffenstillstand als Ergebnis eines Zermürbungskrieges“.
Gleichzeitig bittet uns der Autor, der von 2014 bis 2019 deutscher Botschafter in Moskau war, uns auch angesichts der Warnung Chinas vor einer nuklearen Eskalation des Krieges nicht von Putins nuklearen Drohungen einschüchtern zu lassen: „Der russische Präsident ist es.“ Er handelt nicht irrational, er denkt, er ist gerecht, und er handelt nach einer anderen Logik als wir. Und dieser Logik zufolge würde er, wenn er sich auf einen Atomkonflikt einlassen würde, die Macht und Größe Russlands gefährden, nach der er sich sehnt.“
Die Enthüllung bringt jedoch einen wichtigen Vorbehalt mit sich: Wenn sich die Streitkräfte der Ukraine tatsächlich auf die Rückeroberung der von Russland 2014 eroberten Krim vorbereiten, könnte dies Putin laut Fritz tatsächlich dazu zwingenroutinemäßig Atomwaffen gegen die Ukraine einzusetzen- Bei einer erneuten Einnahme würde die geostrategische Position Moskaus vom Schwarzen Meer bis zum Mittelmeer deutlich geschwächt.
Darüber hinaus weiß Putin, dass sein Volk darin zustimmt, dass die Krim – „für die meisten Russen altes russisches Territorium, ein Traumziel für sowjetische Sommerferien und ein Ort schöner Erinnerungen an die Komsomol-Lager“ – zu Russland gehört.
„Es kann auch sein Kalkül bestimmen, insbesondere wenn klar wird, dass er Gefahr läuft, die Unterstützung im Land zu verlieren.“ Der Autor schreibt dies nicht explizit, aber der Untertitel deutet darauf hin: Bei allem Verständnis der ukrainischen Forderung nach territorialer Erneuerung erscheint angesichts der Integrität des Landes eine erneute Ukrainisierung der Krim im Rahmen eines Waffenstillstands oder von Friedensverhandlungen unwahrscheinlich.
Rüdiger von Fritsch: Eine Welt im Wandel
Die Struktur des Verlags
Berlin 2023
207 Seiten
18 Euro
Fritz geht es darum, einen derzeit gefährlichen Konflikt, etwa während des Kalten Krieges, in einen taktischen Konflikt umzuwandeln. Während Blattmann sich in seinen zehn Geboten für eine Friedenspolitik in kleinen Schritten mit billigen Empfehlungen wie „Man soll sich vernünftige Ziele setzen“ oder „Man soll Geduld haben“ begnügt, unterbreitet Fritz konkrete Handlungsvorschläge.
Da alle wichtigen Rüstungskontrollverträge zwischen Washington und Moskau ausgesetzt sind, schlägt er vor, von dort aus eine Lösung für den Ukraine-Krieg zu finden und als vertrauensbildende Maßnahme eine neue Einigung über Mittelstreckenraketen in Europa zu erreichen – insbesondere durch Kontakte zwischen den beiden Russlands Sicherheitsexperten und sich selbstNATO- Nach dem 24.02.2022 erfolgt kein Abriss der Immobilie.
Bei Rüstungskontroll- und Abrüstungsverhandlungen „kann dieser Kontext entstehen, wenn Russland und die Ukraine bereit und interessiert sind, Verhandlungen zur Beendigung des Krieges aufzunehmen.“
Gerade angesichts der falschen Einschätzung Russlands, dass es möglich sei, die Ukraine mit einem Blitzkrieg zu besiegen, gaben diese Verhandlungen dem Kreml die Gelegenheit, an der „Heimatfront“ zu betonen, dass es nur um sie geheNATOGefährdete Sicherheit wiederherstellen.
Verhandlungen ja oder nein?
Fritz ist eindeutig für Verhandlungen mit Moskau. Stefanie Babst, Autorin eines weiteren lesenswerten Buches, lehnt einen solchen Kurs vehement ab. Babst ist politischer Berater und langjähriger Leiter der Strategic Foresight Group der NATO.
Angesichts der russischen Kriegsverbrechen in der Ukraine schreibt sie in ihrem Buch „Seeden Auges. Mut zum strategischen Kurswechsel“, „eine Rückkehr zu einer Art politischer Vereinbarung mit Moskau sei weder moralisch akzeptabel noch strategisch sinnvoll“.
Die strategische Abgrenzung bewege sich „zwischen dem aggressiven, expansiven und autoritären Putin-Regime und unserem liberal-demokratischen Klassenmodell“. Nach Ansicht von Babst wäre es besser gewesen, wenn die NATO Putin vor Kriegsbeginn signalisiert hätte, dass sie im Falle eines Angriffs auf die Ukraine über eine Flugverbotszone nachdenken würde.
Leider ist das nicht geschehen, daher muss der Westen Kiew nun mit allen notwendigen Waffen ausrüsten, damit die Ukraine die von Russland besetzten Gebiete, einschließlich der Krim, zurückerobern kann.
„Wir werden einen Krieg mit ihm nicht gewinnen, indem wir uns hinsetzen, uns verbeugen, reden oder auch nur versuchen, den russischen Präsidenten Putin zu ‚beschwichtigen‘“, erklärt der Autor. Babst rät dem Westen, in Analogie zur US-Außenpolitik nach 1945 zunächst den Machthunger Moskaus einzudämmen und dann eine Strategie der „Rückführung des Putinismus“ zu verfolgen.
Stefanie Babst: Sehende Augen
dtv-Verlag
München 2023
287 Seiten
24 Euro
Aus historischer Sicht ist diese Empfehlung jedoch unangemessen. Denn es war die antikommunistische Eindämmungs- und Zurückdrängungspolitik der USA, die Länder wie Kuba in die Arme der Sowjetunion trieb. Mit der Dominotheorie und dem Vietnamkrieg erreichte die Doktrin dann ihren verheerenden Höhepunkt.
So kurzsichtig und kriegerisch Babstas Forderung, der Westen solle nicht mit Putin und seiner Kabale verhandeln, auch erscheinen mag, so präzise und tiefgründig ist ihre Analyse der gescheiterten deutschen Russlandpolitik vor der „Zeitwende“.
Mehr zum Krieg in der Ukraine:
- „Russland hat fünfmal mehr Munition, aber die Ukraine ist schlauer“
- Russlands Staatsdefizit wächst rasant – doch der Kreml verfügt noch über Reserven
- Nachts im Keller, tagsüber im Café: Über den Alltag in Kiew dieser Tage
Er kritisiert zu Recht, dass diese Politik in den letzten Jahrzehnten vor allem von wirtschaftlichen Interessen getrieben wurde, wobei dem Osteuropäischen Wirtschaftsausschuss eine zentrale Rolle zukommt.
Es war seltsam, dass die rot-grüne Bundesregierung 2005 den Bau der Gaspipeline Nord Stream 1 genehmigte. Doch 2015, ein Jahr nach der Annexion der Krim durch Moskau und der bewaffneten Destabilisierung der Ostukraine, eröffnete die Große Koalition die PipelineNord Stream 2Aus Babsts Sicht kann man es nur als „strategisch schuldig“ bezeichnen.
Bereits 2013 wies sie in ihrer Rolle in der NATO darauf hin, dass Russland insbesondere angesichts seiner Expansionsbemühungen in Ost- und Südosteuropa „kein verlässlicher strategischer Partner mehr“ sei, und forderte, dass sich die NATO „auf einen Konfrontationskurs mit Russland vorbereiten“ müsse Dieses Postulat stieß in der NATO-Bürokratie auf taube Ohren. In diesem Sinne ist es nicht verwunderlich, dass Babsts Buch von der Frustration einer ungehörten Frühwarnerin spricht.
Bloß:Kein Wunschdenken: Gauck befasst sich mit Merkels Russlandpolitik